Zur Abgrenzung zwischen Befunderhebungsfehler und Fehler der therapeutischen Aufklärung
Für einen Arzt ist die Diagnose nach geschilderten Beschwerden nicht immer leicht zu stellen, weshalb er Befunde erhebt. Er nimmt beispielsweise Blut ab, um die Blutwerte zu bestimmen, fertigt Röntgenaufnahmen an oder ein Ultraschall. Die Ergebnisse liegen nicht sofort vor, sondern treffen meist erst ein, wenn der Patient die Praxis verlassen hat. Dies ist regelmäßig bei entnommenen Blutproben oder radiologischen Untersuchungen (MRT) der Fall.
Im Rahmen der anwaltlichen Tätigkeit zeigt sich, dass zunehmend Ergebnisse, die durch Befunderhebungen gewonnen wurden nicht ganz oder zumindest nicht vollständig dem Patienten mitgeteilt worden sind. Häufig zeigen sich Befunde, die nicht unmittelbar behandlungsbedürftig, gleichwohl kontrollbedürftig sind. Derartige kontrollbedürftige Befunde sind dem Patienten durch den Arzt immer mitzuteilen, dies ebenso verbunden mit dem Hinweis auf die Kontrollbedürftigkeit. In derartigen Fällen ist es geboten, entweder in regelmäßigen Abständen Kontrollen durchzuführen oder sofort weitere Befunde zu erheben. Dies muss der Patient wissen, damit er an den Untersuchungen mitwirken kann. Hierbei kann es sich beispielsweise um einen Knoten in der Brust, der zu beobachten ist, aber auch um eine zystische Veränderung, die ggf. weiterer Untersuchungen bedarf, handeln.
Wird ein solcher kontrollbedürftiger Befund dem Patienten nicht mitgeteilt und führt dies zu einem Schaden, ist von einer fehlerhaften Behandlung auszugehen. Dies kommt in Betracht, wenn bei einer unterlassenen Kontrolle ein Tumor ungehindert wachsen, sich ausbreiten und vielleicht auch streuen konnte.
In rechtlicher Hinsicht stellt sich die Frage, welcher Vorwurf gegen den Behandler konkret zu erheben ist, ob ein sog. Befunderhebungsfehler oder ein Fall der fehlerhaften therapeutischen Aufklärung vorliegt.
In den Jahren 2020 und 2021 hat der Bundesgerichtshof hierzu nun klare Abgrenzungskriterien vorgenommen. In seiner Entscheidung vom 26.05.2020 stellte er dar, dass es in Fällen, bei denen es schon an einem Hinweis fehlt, dass ein kontrollbedürftiger Befund vorliegt und Maßnahmen zur weiteren Abklärung medizinisch geboten sind, der Schwerpunkt der Vorwerfbarkeit regelmäßig in der unterbliebenen Befunderhebung liegt, also ein Befunderhebungsfehler vorliegt. In seiner Entscheidung vom 13.04.2020 hat der BGH dann nochmals ergänzt, der Schwerpunkt der Vorwerfbarkeit liege regelmäßig nicht in dem Unterlassen der Weitergabe von Warnhinweisen, sondern in der unterbliebenen Befunderhebung.
Die Einordnung des Fehlers als Befunderhebungsfehler ist in einem Arzthaftungsprozess durchaus von großer Relevanz für den Patienten. Unter weiteren Umständen kann sich hierdurch zugunsten des Patienten eine Beweislastumkehr ergeben. Die Beweislast ist in Arzthaftungsfällen von erheblicher Bedeutung, weil häufig Klagen daran scheitern, dass der Patient nicht beweisen kann, ein Fehler sei für den eingetretenen Schaden ursächlich. Liegt eine Beweislastumkehr vor, muss der Arzt beweisen, dass der Fehler für den Schaden nicht ursächlich geworden ist.
Die Entscheidungen zeigen, wie wichtig eine saubere Abgrenzung und Differenzierung bereits zu einem frühstmöglichen Zeitpunkt ist, wenn Ansprüche wegen fehlerhafter ärztlicher Behandlung geprüft und geltend gemacht werden.
Christoph Scharf
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Medizinrecht
Veröffentlicht am 05./06.08.2023 „Der Neue Tag“, Oberpfalzmedien